“Eine Zeitbombe im Bildungssystem”

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Studien zeigen zunehmenden Bewegungsmangel - mit verheerenden Auswirkungen

Motorische Defizite der Kindheit sind im Erwachsenenalter kaum zu kompensieren, titelte die Berliner Zeitung am vergangenen Sonntag. Bereits am 11. Januar 2024 referierte die ZEIT eine aktuelle Studie, die einen bedenklich großen Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen nachwies – die von der WHO ausgesprochene Mindestempfehlung von durchschnittlich 60 Minuten körperlicher Aktivität pro Tag wird immer seltener erreicht. Auch die WELT konstatierte unlängst, dass viele Kinder verlernen, sich zu bewegen. Eine gesellschaftliche Katastrophe bahnt sich an, doch es passiert – fast nichts.

Während sich die Mitgliedszahlen der Sportvereine nach Corona – nicht zuletzt dank zahlreicher Initiativen des gemeinnützigen, organisierten Sports, wie der von der Deutschen Sportjugend initiierten und vom Bundesjugendministerium geförderten MOVE-Kampagne – wieder erholen, sinkt die Nettobewegungszeit von Kindern und Jugendlichen. Alltagsbewegung, wie die Wege zu Kita und Schule oder auch die Bewegung in den Bildungseinrichtungen und in den Familien bzw. der Freizeit nehmen rapide ab bzw. finden nicht statt.

Die aktuelle Pisa-Studie zeigt außerdem einen wachsenden Abstand zu anderen Ländern, insbesondere in grundlegenden Schulfächern. Im Bereich Sport wurde bereits 2002 ein signifikanter Rückgang in koordinativen und konditionellen Fähigkeiten bei Kindern festgestellt. Eine steigende Anzahl von Kindern zeigt Mängel in grundlegenden Bewegungskompetenzen. Die Eltern spielen in der Phase eines Kleinkindes eine prägende Rolle als Motivatoren für vielseitige Bewegungsaktivitäten, nehmen diese aber selten wahr. Zusätzlich fehlt es in Kitas und Grundschulen an systematischer Förderung der koordinativen Fähigkeiten durch qualifiziertes Fachpersonal. 

Spätestens mit dem Eintritt in die Schule könnte sich die Sachlage verbessern – eigentlich. Der Schulsport bietet die einzigartige Gelegenheit als Lebens-, Lern- und Erfahrungsraum, alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen und in Bewegung zu bringen. In einem motivierenden, altersangemessenen und differenzierten Sportunterricht sollte vor allem die Vielfalt der Bewegungserfahrungen sowie die Freude am Bewegen im Vordergrund stehen. Am Ende der Grundschulzeit sollten Kinder sicher schwimmen können.

Die Ziele werden derzeit aber nur in Teilen erreicht. Die Umsetzung erfordert gut ausgebildetes Personal, motivierte Erzieher*innen, Fachlehrkräfte und engagierte Eltern. Die Ausbildung dieser Personen sollte an Pädagogischen Hochschulen oder Universitäten mit einem Schwerpunkt auf Erziehungswissenschaften und Didaktik erfolgen. Gleichzeitig ist eine veränderte Haltung unabdingbar, ein Bekenntnis zu Bewegung als essentiellem Bestandteil von Bildung. Eine umfassende Schulreform, die Bewegung, Spiel und Sport als wesentliche Bestandteile ganzheitlicher schulischer Bildung versteht, ist eine langfristige Investition in die Zukunft und erfordert finanzielle Mittel und Zeit. Fehlen jedoch zeitnahe gezielte Bildungsreformen, wird dies in den kommenden Jahren zu erheblichen Defiziten in der motorischen Kompetenz der Kinder führen und langfristig das Gesundheitswesen stark belasten.

„Bewegung ist kein 'nice to have', sondern elementarer Bestandteil des gesunden Aufwachsens, der ganzheitlichen Entwicklung und Bildung junger Menschen. Wir nehmen diesen Bildungsauftrag ernst, unterstützen Kitas und Schulen bei ihren Aufgaben und engagieren uns als Bewegungsexperten in kommunalen Bildungsnetzwerken. Unser Engagement alleine wird jedoch nicht ausreichen, um die aktuellen Probleme aufzufangen und dem Bewegungsmangel nachhaltig entgegenzuwirken.“, resümiert Julian Lagemann, dsj-Vorstandsmitglied. 

Die Deutsche Sportjugend nimmt gemeinsam mit ihren Mitgliedsorganisationen Aufgaben als Bildungs- und Bewegungspartner für unzählige Kitas und Schulen wahr und setzt sich regelmäßig mit der Qualität von Bewegungs-, Spiel- und Sportangeboten auseinander. Vor Kurzem ist der Qualitätskatalog für Bewegungskitas erschienen, der aufzeigt, wie Bewegungsförderung in einer Kita effektiv umgesetzt werden kann. Im kommenden Frühjahr wird sich der Kinder- und Jugendsport bei einer Fachveranstaltung mit der Qualität von Bewegungsangeboten in Kita und Ganztag auseinandersetzen.

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