Dialogprozess Schutz vor Gewalt im Sport

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und die Deutsche Sportjugend (dsj) sowie ihre Mitgliedsorganisationen bekennen sich klar zu einem sicheren und gewaltfreien Sport. Sportverbände und -vereine haben eine originäre Verantwortung dafür, den Schutz von allen Personen in ihren Strukturen bestmöglich sicherzustellen.

DOSB und dsj und ihre Mitgliedsorganisationen begrüßen den im Koalitionsvertrag verankerten Aufbau eines Zentrums für Safe Sport.

Das Zentrum für Safe Sport kann und soll dabei helfen, Schutzlücken beim Schutz vor Gewalt im Sport zu schließen sowie die Maßnahmen und Aktivitäten der Sportverbände und -vereine sinnvoll zu ergänzen und zu unterstützen.

DOSB, dsj und ihre Mitgliedsorganisationen werden sich weiterhin aktiv in der Prävention, Intervention und Aufarbeitung für den Schutz vor Gewalt im Sport, aufbauend auf den DOSB- und dsj-Stufenmodellen, auf allen Ebenen des organisierten Sports einsetzen. Hierzu werden die vorhandenen Maßnahmen kritisch reflektiert, Lösungen für Defizite erarbeitet und in einem Zukunftsplan gebündelt. Der Zukunftsplan Safe Sport soll die langfristige Gesamtstrategie von DOSB und dsj sowie ihren Mitgliedsorganisationen zum Schutz vor Gewalt darstellen.

Für die Entwicklung des Zukunftsplans wird noch im Jahr 2022 ein konkreter Zeitplan erarbeitet, der mit den Mitgliedsorganisationen und Athlet* innenvertretungen sowie unter Einbeziehung externer Expertise zeitnah umgesetzt werden soll.

In dem Prozess zur Entwicklung dieses Zukunftsplans soll es eine konkrete Befassung mit der Weiterentwicklung und Implementierung von Qualitätsstandards in der Prävention, Intervention und Aufarbeitung sowie deren Qualitätssicherung auf allen Ebenen des organisierten Sports geben. Dazu gehört auch die Professionalisierung in der Beratung durch die Sportverbände. Insbesondere soll die Entwicklung eines verbindlichen Rechtsrahmens für den Schutz vor interpersonaler Gewalt im Sport in Form eines Safe Sport Codes diskutiert und geprüft werden. Die Schaffung einheitlicher Regeln, Tatbestände und Sanktionsnormen kann zu mehr Handlungssicherheit der einzelnen Akteur* innen, aber vor allem zu einer besseren Unterstützung von Betroffenen und einer Stärkung der Strukturen zum Schutz vor Gewalt im Sport insgesamt beitragen.

Ziel von DOSB und dsj und ihren Mitgliedsorganisationen ist es, ein starkes, umfassendes Safe Sport Netzwerk aus Sport, Politik, Wissenschaft und Fachpraxis zur Sicherstellung von Schutz vor Gewalt im Sport zu schaffen. Die bereits bestehenden Netzwerke auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene aus Organisationen innerhalb und außerhalb des organisierten Sports gilt es auszubauen und in einem umfassenden Safe Sport Netzwerk zusammenzuführen. Hierzu sollte es einen institutionalisierten Rahmen für die Koordination und standardisierte Abläufe des Safe Sport Netzwerks geben, in dem dsj und DOSB eine zentrale Rolle haben.

Position von DOSB und dsj und ihren Mitgliedsorganisationen zum Zentrum für Safe Sport

Prämissen für einen umfassenden Schutz vor interpersonaler Gewalt im Sport

  1. Handlungsleitend für Maßnahmen zum Schutz vor interpersonaler Gewalt im Sport und den nachfolgenden Lösungsansätzen ist es, alle Personen im Sport nachhaltig zu schützen und Betroffenen größtmögliche Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Der Schutz vor Gewalt ist umfassend und flächendeckend im gesamten organisierten Sport bis zur Vereinsebene zu verankern. Das Zentrum für Safe Sport soll das gesamte Spektrum des organisierten Sports in den Blick nehmen und dementsprechend sowohl für den Leistungs- als auch den Breitensport zuständig sein.
  2. Der Schutz vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt muss in Sportverbänden und -vereinen bundesweit gleichermaßen sichergestellt sein und darf nicht von unterschiedlichen zur Verfügung stehenden Ressourcen oder von persönlichem Engagement abhängig sein.
  3. Der Schutz vor Gewalt ist in den Mitgliedsorganisationen von DOSB und dsj durch die in den letzten Jahren getroffenen Maßnahmen bereits strukturell verankert. Es bestehen jedoch teils Defizite und Lücken in der Qualität und der flächendeckenden Umsetzung von Maßnahmen in der Prävention, Intervention und Aufarbeitung. Dies wird als gemeinsame Aufgabe sportverbandlicher und staatlicher Akteur*innen verstanden und ist in gemeinsamer Verantwortung in Angriff zu nehmen.
  4. Die Diversität der Strukturen des organisierten Sports in Deutschland spiegelt sich in dessen dezentraler Organisation über Landessportbünde, Spitzenverbände und Verbände mit besonderen Aufgaben, deren jeweiligen Jugendorganisationen sowie allen Untergliederungen bis hin zu den Sportvereinen wider. Die Selbstorganisation des Sports zeichnet sich durch sein demokratisches Wesen aus. Die Diversität und Selbstorganisation sind Stärken des organisierten Sports und bei der Entwicklung der Aufgaben und Kompetenzen des Zentrums für Safe Sport zu achten.
  5. Es bestehen bereits unterschiedliche Netzwerke auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene aus Organisationen innerhalb und außerhalb des organisierten Sports. Das unabhängige Zentrum für Safe Sport entfaltet seine Wirkung für mehr Schutz in Sportverbänden und -vereinen, indem es die bestehenden Strukturen unterstützt, entlastet und stärkt sowie gleichzeitig seine Unabhängigkeit gewährleistet.
  6. Die Sportverbände und -vereine haben eine originäre Verantwortung zur Sicherstellung von Schutz vor Gewalt. Das Zentrum für Safe Sport ist dann zuständig, wenn diese nicht tätig werden oder aufgrund einer erforderlichen Unabhängigkeit nicht tätig werden können und sollen. Betroffene haben immer die Wahl, an welche Stelle sie sich zuerst wenden möchten.
  7. Eine zentrale Aufgabe des Zentrums für Safe Sport ist es, Schutzlücken zu schließen, die der organisierte Sport nicht selbst schließen kann. Das ist immer dann der Fall, wenn es explizit einer unabhängigen Stelle bedarf, die zur Unterstützung angefragt werden kann oder wenn zusätzliche Ressourcen benötigt werden, die über die bestehenden Finanzierungen nicht abgedeckt werden können.
  8. Das Zentrum für Safe Sport muss die bereits geltenden Rechtsrahmen berücksichtigen. Mit dem Bundeskinderschutzgesetz wurde 2012 ein verbindlicher Rechtsrahmen zum Schutz vor Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen etabliert, der durch Vereinbarungen zwischen staatlichen Einrichtungen (öffent-liche Träger der Kinder- und Jugendhilfe) und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe (z. B. auch Sportverbände, -vereine und -internate) greift. Es obliegt den Kommunen, dies vor Ort umzusetzen.

Position zum Zentrum für Safe Sport

Prävention:

  1. Die Verantwortung im Bereich Prävention liegt grundsätzlich bei den Sportverbänden und -vereinen. Die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor Gewalt ist wesentlicher Teil der Verbands- und Vereinsentwicklung und impliziert den Abbau von Abhängigkeiten sowie die Entwicklung einer Kultur des Hinsehens und Handelns.
    1. Das Zentrum für Safe Sport kann zusätzliche, ergänzende Unterstützung in der Prävention anbieten, wie beispielsweise qualifizierte Fortbildungsangebote für verschiedene Zielgruppen. Daneben kann das Zentrum für Safe Sport Expertise und Beratung zur Umsetzung von Präventionsmaßnahmenvorhalten (z. B. durch Vermittlung von Expert*innen zur gemeinsamen Erarbeitung von Schutzkonzepten, Durchführung von Risikoanalysen oder Erstellung von Interventionsplänen).
    2. Ein Problem stellen Wanderbewegungen von Täter*innen zwischen verschiedenen Sportverbänden oder -vereinen dar. Datenschutzrechtliche Vorgaben erschweren Meldeverfahren, die zur Prävention beitragen könnten. Die bundeseinheitliche Prüfung, wie Meldeketten praxistauglich und datenschutzkonform umgesetzt werden können, ist eine entscheidende Aufgabe für das Zentrum für Safe Sport.

Intervention:

  1. Im Bereich der Intervention gibt es im organisierten Sport neben den bereits existierenden Strukturen der Anlaufstellen im Sport Handlungsbedarf, den Teile des organisierten Sports als zivilgesellschaftliche Akteur*innen und aufgrund von Abhängigkeiten sowie Interessenskonflikten zum Teil nicht allein oder aus sich heraus bewältigen können.
    1. Im Zentrum für Safe Sport sollte es eine unabhängige Anlaufstelle für von interpersonaler Gewalt Betroffene aus dem Sport geben, die allen Anspruchsgruppen1 im Sport offensteht und zu der insbesondere auch Gruppen mit spezifischen Bedarfen einen barrierefreien Zugang finden (z. B. Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderung).
    2. Die unabhängige Anlaufstelle des Zentrums für Safe Sport sollte betroffenenzentriert arbeiten und Betroffenen eine psychosoziale und rechtliche Beratung anbieten. Sofern es dem Bedarf von Betroffenen entspricht, sollte die unabhängige Anlaufstelle eine Vermittlung an wohnortnahe regionale Fachberatungen sicherstellen. Betroffene sollten über Interventions- und Aufarbeitungsmöglichkeiten innerhalb des organisierten Sports informiert werden. Dabei ist es notwendig die spezifische Struktur von Verbänden mit besonderen Aufgaben, Landessportbünden und Spitzenverbänden zu berücksichtigen.
    3. Das Zentrum für Safe Sport sollte eine Beratung zum Umgang mit Verdachtsfällen für Sport verbände und -vereine in Deutschland anbieten. Diese sollte sich insbesondere an die Sportverbände und -vereine richten, deren zuständige Anlaufstellen in der konkreten Fallkonstellation befangen sind oder die dieses Angebot vorübergehend nicht von ihrer jeweiligen Dachorganisation bzw. ihrem Landessportbund/-jugend abfragen können.
  2. Das Zentrum für Safe Sport sollte darüber hinaus eine Clearingstelle vorhalten. Diese sollte die vorhandenen Strukturen im organisierten Sport ergänzen und kann von allen Anspruchsgruppen angerufen werden. Die Clearingstelle sollte im Konfliktfall oder bei Untätigkeit aktiv werden und entsprechende Verfahren einleiten können.
    1. Die Clearingstelle sollte verschiedene Streitbeilegungsmechanismen anbieten. Abhängig von der Art des Konflikts, der Intensität der Regelverletzung und dem Willen der Parteien sollte ein konsensbasiertes Verfahren (z. B. Mediation), in welchem eine einvernehmliche Lösung des Konflikts angestrebt wird, oder ein entscheidungsorientiertes Verfahren (z. B. Schiedsverfahren) zur Herbeiführung einer Entscheidung durchgeführt werden.
    2. Die Inanspruchnahme der Clearingstelle durch die Anspruchsgruppen ist in entsprechenden Vereinbarungen mit diesen sicherzustellen.
    3. Es bedarf einer Rechts- und Verfahrensordnung für die Clearingstelle.
    4. Die Clearingstelle kann ein Schiedsverfahren einleiten, sofern Sportverbände und -vereine ihre diesbezüglichen Kompetenzen übertragen haben.

Aufarbeitung:

  1. Der organisierte Sport hat sich öffentlich zum Thema Aufarbeitung bekannt. Im Bereich der Aufarbeitung von zurückliegenden Fällen in Sportverbänden und -vereinen sind erste Projekte und Maßnahmen angestoßen. Jedoch fehlt es bisher in weiten Teilen der Mitgliedsorganisationen an Ressourcen und Fachkompetenz, um eine adäquate betroffenenorientierte Aufarbeitung zu ermöglichen und zu begleiten.
    1. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs empfiehlt eine unabhängige Aufarbeitung. Um dieser Empfehlung gerecht zu werden, sollte das Zentrum Safe Sport Expert*innen bereithalten, die die Aufarbeitung begleiten können.
    2. Das Zentrum sollte sicherstellen, dass die Ergebnisse der Aufarbeitungsprozesse in die Weiterentwicklung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen in Sportverbänden und -vereinen sowie deren Verbandsstrukturen einfließen können.

Qualitätssicherung:

  1. Zur Qualitätssicherung und -entwicklung ist eine kontinuierliche und unabhängige Evaluierung durch die Wissenschaft notwendig. Dies betrifft sowohl Maßnahmen und Prozesse der Prävention, Intervention und Aufarbeitung innerhalb des organisierten Sports als auch der Strukturen des angekündigten Zentrums für Safe Sport und dessen Vernetzung mit DOSB und dsj sowie ihren Mitgliedsorganisationen.

    Eine Evaluierung der Arbeit, Funktionsweise und Wirksamkeit des Zentrums für Safe Sport, gemessen an klar definierten Erfolgsparametern, sollte durch eine wissenschaftliche Institution erfolgen.
  2. Zur professionellen Erfüllung seiner Aufgaben sollte das Personal des Zentrums für Safe Sport sowohl über die notwendige fachliche Expertise als auch über Kenntnisse der Sportstrukturen verfügen.

Struktur und Verortung:

  1. Das Zentrum für Safe Sport sollte eine unabhängige, sinnvolle Ergänzung zu bestehenden Strukturen zum Schutz vor Gewalt im Sport sein. Als solches sollte es Teil des Safe Sport Netzwerks sein und mit dessen Akteur*innen, insbesondere mit den Anlaufstellen im organisierten Sport, kooperieren.
  2. Aufgrund der angestrebten Unabhängigkeit des Zentrums für Safe Sport ist die Verortung außerhalb der Strukturen des organisierten Sports und weiteren sportnahen Interessensvertretungen sowie unabhängig von der Politik erforderlich.
  3. Innerhalb der Struktur des Zentrums für Safe Sport ist es erforderlich, dass die Prozesse der Intervention und Aufarbeitung so angelegt sind, dass es zu keinem Interessenkonflikt innerhalb des Zentrums für Safe Sport kommt. Das Beratungsangebot und die Unterstützung für Betroffene müssen stets unabhängig von den Angeboten für Sportverbände und -vereine sein.

Finanzierung:

  1. Die Finanzierung des Zentrums für Safe Sport darf nicht zu Lasten der bereits jetzt für den Schutz vor Gewalt im Sport durch Bund, Länder oder Kommunen zur Verfügung gestellten Mittel gehen. Vielmehr ist es zwingend notwendig, dass die bereits vorhandenen Mittel zum Schutz vor Gewalt im organisierten Sport verstetigt und ausgeweitet werden, um die Aufgaben zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung in den Sportverbänden und -vereinen zu erfüllen und auszubauen.
  2. Das unabhängige Zentrum für Safe Sport erfordert eine vollumfängliche Finanzierung durch den Bund mit neu zur Verfügung gestellten Finanzmitteln. Die Finanzierung des Zentrums für Safe Sport soll langfristig sichergestellt werden, z. B. über eine institutionelle Förderung sowie einer gesetzlichen und haushaltsrechtlichen Absicherung.

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