Ganztagsförderung bewegt gestalten!

Positionierung zum weiteren Ausbau des Ganztags im Rahmen des Rechtsanspruchs auf ganztägige Betreuung und Förderung von Kindern im Grundschulalter

Mit dem Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) und der damit verbundenen stufenweisen Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter (1) wird die Zahl der ganztägig betreuten Kinder in Deutschland weiter zunehmen. Dies wirkt sich auf die Gesamtstruktur des gemeinnützigen organisierten Sports (2) sowie insbesondere auf die Kooperationen zwischen Sportvereinen und Schulen aus.

Aufgrund der zunehmenden Institutionalisierung der Kindheit ist es wichtig, dass eine bewegungsförderliche Schulumwelt – insbesondere im Primarbereich – geschaffen wird. Durch die längere tägliche Verweildauer der Kinder in der Schule spielt dort die Bewegungsförderung eine bedeutende Rolle für ein gesundes Aufwachsen. Dies ist beim weiteren Ausbau des Ganztags zu berücksichtigen. Der organisierte Sport gestaltet diesen Prozess als Partner auf Augenhöhe – und stellenweise als eigener Akteur des Ganztags – aktiv mit.

Beitrag des organisierten Sports im Ganztag

Sportvereine bieten Kindern vielfältige Lerngelegenheiten und fördern im Besonderen das Erlernen von Sportarten und komplexen Bewegungsformen. Darüber hinaus können sie gesellschaftliche Mitverantwortung fördern sowie soziales Engagement, Demokratiebildung und interkulturelles Lernen unterstützen. In der Kinder- und Jugendarbeit im Sportverein stehen die Persönlichkeitsentwicklung und die Partizipation im Mittelpunkt. Dies wünschen wir uns auch für den Ganztag.

Sport im Verein eröffnet immer auch einen potenzialorientierten Möglichkeits- und Entfaltungsraum für junge Menschen. In diesem Sinne sollten sich – ergänzend zum schulischen formellen Kontext – im Setting des Ganztags auch non-formale und informelle Lernmöglichkeiten eröffnen. Der Vereinssport kann mit seinen vielfältigen Angeboten, die allen offen stehen, besondere Chancen bieten. Benachteiligten Kindern und Jugendlichen ermöglicht er gesellschaftliche Teilhabe. Um zukünftig noch mehr Kinder zu erreichen und ihnen eine Vielzahl von Angeboten unterbreiten zu können, spielt die Kooperation von Vereinen mit Ganztagsschulen eine bedeutende Rolle.

Die mit dem Rechtsanspruch verbundene quantitative Ausweitung der Ganztagsplätze erfordert auch den qualitativen und quantitativen bedarfsgerechten Ausbau von Bewegungs- und Sportangeboten. Dies betrifft
sowohl Schul- als auch Ferienzeiten. Für den organisierten Sport ergeben sich hieraus neue Herausforderungen und Chancen. So sind die Strukturen und Sportangebote weiterhin an den sich immer stärker wandelnden Lebensrealitäten von Kindern und ihren Familien auszurichten.

Notwendige Rahmenbedingungen für die Gestaltung eines bewegten Ganztags

Bewegung, Spiel und Sport sind unverzichtbare Bestandteile des schulischen Bildungsangebots und lassen sich unter Artikel 31 der Kinderrechte subsummieren (3). Sie sind daher von Anfang an bei der Ausgestaltung des Ganztags mitzudenken – vom pädagogischen Konzept des Ganztags über die Qualifizierung des eingesetzten Personals, bis hin zur bewegungsfreundlichen Gestaltung von (schulischen) Räumen und der Schulumgebung. Bewegung und Sport sind demnach in den Ausführungsgesetzen der Länder zum Ganztag als zentrale Aufgabe zu verankern.

Der DOSB, der die größte Bürgerbewegung vereint, und die dsj als größter Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe sind mit ihren Mitgliedsorganisationen bei der weiteren Arbeit von Bund und Ländern zur Ausgestaltung des Ganztags zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund fordern wir folgende notwendige Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Gestaltung eines bewegten Ganztags:

  • Tägliche Bewegungszeit im Ganztag verankern

Bereits jetzt bewegen sich Dreiviertel der Grundschulkinder weniger als die von der WHO empfohlenen 60 Minuten täglich (4). Angesichts der daraus folgenden Gesundheitsrisiken und der längeren Verweildauer von Kindern in der Schule sind tägliche, angeleitete Bewegungszeiten von mindestens 45 Minuten unerlässlich, um die ganzheitliche Entwicklung und ein gesundes Aufwachsen von Kindern sicherzustellen. Darüber hinaus sind weitere Bewegungsmöglichkeiten fest im Ganztagssetting zu verankern, indem u.a. Bewegung Teil und Methode jedes Bildungsangebots der Ganztagsschule im Sinne eines Bewegten Unterrichts wird.

  • Bewegungs- und Sporträume ausbauen

Um dem zusätzlichen Bedarf an Bewegungs- und Sportangeboten nachkommen zu können, sind Bewegungsund Sporträume zu erhalten sowie neu zu schaffen. Schulbauförderprogramme sind so auszugestalten, dass Bewegungsfreundlichkeit ein zentrales Kriterium bei der Vergabe von Mitteln ist.

Zukünftig wird sich der Ganztag noch stärker in den Sozialraum öffnen. Vor diesem Hintergrund muss ein bewusstes Verlassen des Settings Schule wie etwa in/auf vereinseigene Sportstätten und -anlagen ermöglicht werden. Schulwege sind als wichtiger Teil der Bewegungsräume im Kontext Schule anzuerkennen und weiterzuentwickeln. Auch außerhalb der Schul- und Ganztagszeiten müssen Schulgelände für Bewegungs-, Spiel- und Sportanlässe für Kinder offenstehen. Die Raumplanung ist zwingend mit der kommunalen Sportinfrastrukturentwicklung abzustimmen.

  • Den organisierten Sport als Bildungsakteur anerkennen und systematisch einbeziehen

Die Sportvereine und -verbände sind große zivilgesellschaftliche Bildungsanbieter und -akteure. Sie gestalten seit vielen Jahren den außerunterrichtlichen Schulsport sowie Bewegung, Spiel und Sport im Ganztag kompetent und verantwortlich mit. Umso wichtiger ist es, auf der Grundlage eines gemeinsamen ganzheitlichen Bildungsverständnisses ihre Bildungsleistungen anzuerkennen und diese innerhalb der nationalen und kommunalen Bildungsberichtserstattung darzustellen. Der organisierte Sport als Teil eines kommunalen Bildungsnetzwerks ist in der kommunalen Bildungslandschaft sowie in der Ganztagsbildung zwingend mitzudenken und einzubeziehen.
Dabei kann die flächendeckende Einführung von lokalen Netzwerkmanager*innen im organisierten Sport, die Kooperationen initiieren und begleiten, unterstützend wirken. So könnten auch Sportvereine
verstärkt als Träger des Ganztags gewonnen werden.

  • Sportvereine als erste Ansprechpartner verstehen und anerkennen

Bei der Ausgestaltung des Ganztags sollten die Sportvereine vor Ort mit ihrer Fachkompetenz für Bewegungsförderung erste Ansprechpartner für Sport- und Bewegungsangebote sein. Dies sollte in den Rahmenvereinbarungenzwischen Ländern und Sportverbänden sowie auch in den Ausführungsbestimmungen zum Ganztag in den Ländern verankert werden.

  • Zusätzliches Personal für den Ganztag gewinnen und gemeinsam qualifizieren

Für die Aus-, Fort- und Weiterbildung halten die Sportverbände ein umfangreiches Qualifizierungssystem im Rahmen der DOSB-Lizenzausbildung vor. Dieses gilt es auf allen Ebenen zu stärken. Die vom organisierten Sport qualifizierten Personen, die sich um die Organisation und Durchführung der Bewegungsangebote im Ganztag kümmern und diese umsetzen, müssen als Fachkräfte anerkannt werden. Um deren Kompetenzen transparent zu machen, braucht es eine Einordnung der DOSB-Lizenzausbildung in den Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR).

Aufgrund des zusätzlichen Personalbedarfs sind dringend weitere Fachkräfte für Bewegungs- und Sportangebote zu gewinnen und zu qualifizieren. Der organisierte Sport ist als zivilgesellschaftlicher Bildungsakteur gewillt, seine Expertise für Bewegung und Sport in die Weiterqualifizierung von Personal der formalen Bildungsinstitutionen (z. B. Lehrkräfte, Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen) einzubringen. Vor diesem Hintergrund sollten pädagogische (Fach-)Hochschulen und andere adäquate Bildungspartner auch den Sport bei Ausbildungsgängen von Erzieher*innen und pädagogischen Fachkräften im Bereich Bewegungsförderung einbinden.

  • Zusätzliche Stellenkontingente für Freiwilligendienste im Sport schaffen

Der verstärkte Einsatz von Freiwilligendienstleistenden kann eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Bewegungs-, Spiel- und Sportangeboten im Ganztag spielen. Freiwilligendienste können zugleich als Bindeglied zwischen Sportverein und Schule fungieren. Eine Bundes- und Landesförderung zusätzlicher Stellenkontingente für die Freiwilligendienste im Sport kann dazu beigetragen, dem erhöhten Personalbedarf zu entsprechen. Die Übernahme der Vollkosten junger Freiwilligendienstleistender, die verstärkt in (Ganztags-)Schulen zum Einsatz kommen, wäre hier ein wichtiger Baustein.

  • Kinder bei der Ausgestaltung des Ganztags partizipieren lassen

Es kann und darf nicht der Anspruch des Ganztages sein, lediglich Kinder zu betreuen. Der Ganztag muss vielmehr zu einem Lebens-, Bildungs- und Bewegungsort werden, in dem die Perspektiven und Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt und die Kinderrechte umfassend verwirklicht werden. Dafür müssen entsprechende Beteiligungskonzepte umgesetzt werden – der Sport kann hierbei seine langjährigen Erfahrungen in der Partizipation von Kindern einbringen.

  • Sportunterricht durch ganztägige Bewegungsangebote ergänzen

Der Ausbau der Bewegungs-, Spiel- und Sportangebote im Ganztag darf auf keinen Fall dazu führen, dass der Sportunterricht vernachlässigt wird. Der reguläre Sportunterricht muss in vollem Umfang und entsprechend der festgelegten Curricula durch akademisch ausgebildete Sportlehrkräfte durchgeführt werden. Bewegungs-, Spiel und Sportangebote im Ganztag sind ein wichtiger, ergänzender Beitrag und stellen einen Mehrwert (kein Ersatz) für den Sportunterricht dar. Sportunterricht und sportliche Angebote im Ganztag sollten bestmöglich mit den Angeboten im Verein verknüpft und dadurch gestärkt werden.

  • Im Nachwuchsleistungssport aktive Kinder auch im Ganztag fördern

Damit leistungssportlich aktive Kinder die Vorteile des Ganztags nutzen und gleichzeitig ihr Training absolvieren können, müssen individuelle Freistellungen und/oder die Integration des Vereinstrainings in den Ganztag ermöglicht werden.

  • Flächendeckend motorische Tests etablieren

Der Ganztag bietet die Chance, mittels sportartübergreifender Bewegungschecks allen Grundschulkindern eine sportmotorische Entwicklungsempfehlung zu geben. In Zusammenarbeit von Grundschulen, Landessportbünden sowie Stadt- bzw. Kreissportbünden und Sportvereinen soll jedes getestete Kind und dessen Eltern gezielt eine Orientierung auf ein oder mehrere adäquate Sportangebote im Sportverein in der Region erhalten.

  • Forschung zur Qualitätsentwicklung im Ganztag im Kontext Bewegung und Sport finanziell unterstützen

Im Zuge des weiteren Ausbaus der Ganztagsangebote ist es dringend erforderlich, umfassende bundesweite Daten zu erhalten. Dies betrifft z. B. die Betrachtung des (veränderten) Aufwachsens und Sporttreibens von Kindern, die Sportbeteiligung marginalisierter Gruppen sowie die Auswirkungen der Ganztagsbetreuung und -förderung. Die daraus resultierenden Forschungsergebnisse sind eine wichtige Grundlage für die zukünftige, gemeinsame Ausgestaltung des Ganztags und für die Entwicklung von Gesamtstrategien zur Bewegungsförderung.

Für die Gestaltung einer bewegten Lebenswelt in allen Settings der Lebensbereiche von Kindern sind geeignete, niedrigschwellige Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene zu initiieren und entsprechende Infrastrukturen bereitzustellen. Darüber hinaus sollte eine dauerhafte finanzielle Absicherung und Unterstützung der Strukturen des organisierten Sports zur Qualitätssicherung und zum Ausbau der ganztäglichen Bewegungsangebote vorgesehen werden.

Qualitätsentwicklung und Ausgestaltung der Ganztagsschule erfolgen in gemeinsamer Verantwortung.Dazu müssen (Ganztags-)Schule und organisierter Sport unter den neuen Gegebenheiten verstärkt aufeinander zugehen und sich intensiv aufeinander beziehen. Zudem müssen gemeinsam mit den zuständigen öffentlichen Stellen notwendige kooperationsförderliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Den Kommunen kommt hier eine bedeutende Rolle in der Koordination vor Ort zu.

Der DOSB und die dsj sind gewillt, ihre Expertise in die Qualitätsentwicklung und Ausgestaltung des Ganztags einzubringen und hoffen auf einen partizipativen Prozess.

 

Beschlossen am 17.04.2023 durch den Vorstand der Deutschen Sportjugend (dsj) und am 18.04.2023 durch den Vorstand des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Frankfurt am Main

1) Mit dieser Positionierung beziehen sich DOSB/dsj auf den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter. Zur besseren Lesbarkeit wird im gesamten Text lediglich von Kindern gesprochen, gemeint sind konkret Kinder im Grundschulalter.
2) Der Begriff ‚organisierter Sport‘ wird im Folgenden genutzt, um den Gesamtbereich des gemeinnützigen, organisierten Sports zu bezeichnen.
3) www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention

4) www.apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/272722/9789241514187-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y

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