Stefan, der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU ist nun unterschrieben. Wie fällt deine Einschätzung im Hinblick auf die Anliegen der dsj und den Kinder- und Jugendsport aus?
Wir sehen im Koalitionsvertrags sowohl positive Ansätze als auch offene Punkte. Erfreulich ist die geplante Erhöhung des Kinder- und Jugendplans (KJP) um zehn Prozent sowie die anschließende Dynamisierung der Finanzierung. Dies entspricht einer unserer zentralen Forderungen und ist ein wichtiger Schritt zur nachhaltigen Unterstützung der Jugendsportstrukturen. Allerdings bleibt abzuwarten, wie die Umsetzung konkret gestaltet wird und ob weitere unserer Anliegen, wie der sogenannte "SportjugendEuro" (1 Euro pro U27 Mitgliedschaft), berücksichtigt werden.
Was erwartest du jetzt konkret von der künftigen Bundesregierung?
Wir erwarten, dass die angekündigten Veränderungen mit Leben gefüllt – und dass wir als Sportjugend dabei als Partnerin wahrgenommen werden. Kinder und Jugendliche sind die Zukunft dieses Landes, und es ist von zentraler Bedeutung, dass ihre Bedürfnisse und Perspektiven stärker in politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Wir erwarten, dass junge Menschen als aktive Akteur*innen in der Gesellschaft anerkannt werden und dass ihre Stimme in der Politik nicht nur gehört, sondern auch ernst genommen wird. Das bedeutet, dass in der politischen Agenda mehr Platz für beteiligungsorientierte Prozesse geschaffen wird, in denen Kinder und Jugendliche aktiv ihre Ideen und Forderungen einbringen können. Nur so kann eine nachhaltige und gerechte Politik entstehen, die auch den zukünftigen Generationen gerecht wird. Der Koalitionsvertrag ist zunächst ein Rahmen. Entscheidend wird nun sein, was in den kommenden Monaten im Rahmen der Haushaltsverhandlungen auf den Weg gebracht und wie das finanziert wird – wir stehen bereit, uns aktiv einzubringen.
Die Förderung von Bewegung und Sport für Kinder und Jugendliche ist ein weiteres zentrales Anliegen der dsj. Gibt es im Koalitionsvertrag konkrete Maßnahmen in diesem Bereich?
Der Koalitionsvertrag sieht die Durchführung eines nationalen Kinder- und Jugendgipfels vor, um jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Anliegen zu artikulieren. Dies ist ein positives Signal. Allerdings fehlen konkrete Maßnahmen zur systematischen Bewegungsförderung von Kindern und Jugendlichen. Bewegung ist ein Grundbedürfnis und natürlich wichtige Basis für Sport. Auch das Wort Jugendbeteiligung fällt leider gar nicht. Wir hätten uns gewünscht, dass die Politik des Bundes und eine voraussichtliche Olympiabewerbung Deutschlands stärker zur Politik der Bewegungsförderung mit einem Fokus auf Kinder und Jugendliche wird. Eine solche Ausrichtung wäre ein wichtiger Beitrag zu echter Generationengerechtigkeit, denn sie investiert nachhaltig in die körperliche und soziale Entwicklung kommender Generationen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das freiwillige Engagement junger Menschen im Sport. Wie wird dieses Thema im Koalitionsvertrag behandelt?
Der Koalitionsvertrag setzt ein wichtiges Signal für das freiwillige Engagement junger Menschen, auch im Sport. Positiv ist vor allem die geplante überjährige Absicherung der Freiwilligendienste – das schafft mehr Planungssicherheit und stärkt die Strukturen nachhaltig. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Rahmenbedingungen für die Engagierten zu verbessern. Offene Punkte wie die Kostenfreiheit im ÖPNV zeigen aber, dass es weiterhin konkreten Handlungsbedarf gibt. Wir setzen uns dafür ein, dass die angekündigten Maßnahmen zügig und im Sinne der jungen Freiwilligen umgesetzt und bestehende Lücken geschlossen werden.
Sportvereine stärken Demokratie, deswegen fordert die dsj die Einrichtung einer Stelle zur „Demokratiestärkung und politischen Bildung im Sport“ und entsprechende Förderprogramme zur Demokratiestärkung. Wie bewertest du den Vertrag aus dieser Perspektive?
Der Koalitionsvertrag widmet der Stärkung der Demokratie ein eigenes Kapitel und erkennt die Bedeutung von zivilgesellschaftlichem Engagement ausdrücklich an. Auch der Sport wird im Zusammenhang mit Ehrenamt und Zusammenhalt erwähnt. Allerdings bleibt der Vertrag sehr allgemein, wenn es um konkrete Förderprogramme zur politischen Bildung im Sport geht. Wir hätten uns hier eine deutlichere Verankerung unserer Forderung gewünscht – etwa durch die gezielte Förderung von Demokratieprojekten in Sportvereinen, klare Zusagen zur politischen Bildung junger Menschen im Sportkontext und eine Hinwendung zur institutionellen Förderung – weg von ständigen Einzelprojekten.
Die soziale Infrastruktur – dazu gehören auch Sportvereine – steht unter Druck. Auch dazu gibt es ein eigenes Kapitel. Findest du dazu gibt es ausreichend Perspektiven im Vertrag?
Es wird zwar betont, dass das Ehrenamt gestärkt werden soll, aber erneut fehlen klare Aussagen zur strukturellen Förderung der Sportvereine, insbesondere im Kinder- und Jugendbereich. Angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen viele Vereine stehen, brauchen wir wirklich verbindliche Zusagen.
Wie steht es um den Kinder- und Jugendschutz im Sport? Wird dieser im Koalitionsvertrag ausreichend berücksichtigt?
Der Koalitionsvertrag bekennt sich klar zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, das ist gut. Es fehlt aber ein konkreter Bezug zu den Kinderrechten oder dem besseren Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Diskriminierung in Kita, Schule und Verein. Auch spezifische Maßnahmen zur Prävention, Intervention oder Aufarbeitung von Gewalt und Grenzverletzungen im Vereinskontext werden nicht genannt. Ich wünsche mir, dass da in der konkreten Umsetzung mehr passiert, denn hier ist aus Sicht der dsj eine deutliche Lücke – gerade weil Sportvereine tagtäglich mit Millionen junger Menschen arbeiten. Ein eigenes Bundesprogramm, wie wir es fordern, wäre dringend notwendig, um Fachpersonal abzusichern, Ansprechstrukturen zu schaffen und Prävention flächendeckend umzusetzen.