„Wenn die dsj laut ist, wenn sie stark ist für Kinder und Jugendliche, dann haben wir viel erreicht.“

Quelle: dsj

Leon Ries, der neue dsj-Geschäftsführer und seine Vorgängerin, Christina Gassner, im gemeinsamen dsj-Interview

Am 1. April startet Leon Ries in seine neue Aufgabe als Geschäftsführer der dsj. Christina Gassner hat die dsj Mitte Februar verlassen und ist neue Direktorin für "Institutionelle und Politische Beziehungen & Strategie“ beim DFB.
Die dsj hat die ehemalige und die zukünftige Geschäftsführung zum gemeinsamen Interview getroffen und über ihre prägendsten Erfahrungen, ihr größten Learnings aus der Vergangenheit und die Herausforderungen und Chancen für die dsj gesprochen.

Christina, du bist vor über einem Monat beim DFB gestartet. Wie war der Übergang von der Deutschen Sportjugend in eine ihrer größten Mitgliedsorganisationen? 
Der Start war rasant und auch hier beim DFB ist es superturbulent mit einer hohen Themenvielfalt und einer großen, komplexen Struktur, vielen Erwartungen und zahlreichen Stakeholdern. Da kommt mir vieles bekannt vor aus der Tätigkeit bei der dsj. Von daher kann ich viel mitnehmen, auch aus den Erfahrungen, die ich gesammelt habe. Aktuell bin ich aber immer noch dabei, mich zu sortieren und einen Überblick über alle Themen zu gewinnen.

Leon, du wirst der neue Geschäftsführer der Deutschen Sportjugend. Was war für dich ausschlaggebend dich für die Position zu bewerben?
Weil ich mich für den Kinder und Jugendsport einsetzen will! Das ist seit jeher das Thema, das mich am stärksten antreibt und wo ich das meiste Herz lassen kann. Insofern ist der ausschlaggebende Punkt gewesen zu sagen: Bei der dsj kann ich mich voll einbringen, meiner Leidenschaft nachgehen und das nicht nur im Fußball, wie ich es die letzten Jahre getan habe, sondern wirklich für den gesamten Sport. Auch hatte ich in der Vergangenheit immer wieder Kontakt mit der dsj und mit Christina, so konnte ich die Arbeit schon ein bisschen kennenlernen und Lust auf mehr entwickeln.

Christina, du hast gerne die Metapher genutzt, dass die dsj und auch der DOSB stürmische Zeiten hatten und gehofft, die dsj in ruhigeres Fahrwasser zu leiten. Kannst du deine knapp vier Jahre nochmal kurz Revue passieren lassen?
Es ist wirklich wahnsinnig viel passiert in den vier Jahren bei der dsj. Daher fällt es mir sehr schwer, das in wenige Sätze zu packen. Grundsätzlich ist einiges geschehen: Personalwechsel, geplant und ungeplant  - sowohl auf hauptamtlicher, also auch auf ehrenamtlicher Seite. Wenn ich auf die vier Jahren zurückblicke, waren 2 oder 2 1/2 Jahre davon in und mit der Corona-Pandemie. Aus heutiger Sicht ist es noch immer der totale Wahnsinn, dass wir innerhalb von zwei Tagen alle ins mobile Arbeiten versetzt, mit entsprechender Technik ausgestattet und digital arbeiten haben lassen. Manche Kolleg*innen habe ich dann ein Jahr nicht persönlich gesehen. Dann die permanente Frage der öffentlichen Finanzierung und zunächst fehlenden Aufstockung. Das war natürlich auch nicht ganz einfach.  Aber ich sehe auch, was aus diesen ganzen Krisen entstanden ist. Ich glaube kaum einer hat Corona so als Chance genutzt, wie wir das in der dsj gemacht haben. So schnell die Digitalisierung für uns zu nutzen und innovative und kreative Projekte aufzusetzen, die nicht nur uns geholfen haben, sondern vor allem den dsj-Mitgliedsorganisationen, das hatte schon was. Und wir haben damit auch einen sehr positiven Eindruck zum Beispiel beim Bundesjugendministerium hinterlassen, was wiederum die Grundlagen für weitere große Projekte in den letzten zwei Jahre gewesen ist und uns auch über die Finanzierungsfrage nochmal anders hat diskutieren lassen.

Leon: Du warst zuvor für den Amateurfußball beim DFB zuständig. Was waren dabei deine prägendsten Erfahrungen? Und wie passen diese zu deiner neuen Position in der dsj?
Eine ähnlich rasante Zeit, wie sie Christina gerade beschrieben hat. In einem Umstrukturierungsprozess habe ich den Bereich des Amateurfußballs übernommen. Hier musste vieles erstmal neustrukturiert und auch neu aufgebaut werden. Insofern sehr spannend! Aber auch inhaltlich haben wir viel geschafft und trotz Corona, das muss man auch für den DFB sagen, ein neues Konzept für den Kinder- und Jugendfußball aufgestellt, bei dem wir versucht haben in der gesamten Fußballfamilie den Fokus auf diesen Bereich zu rücken. Dass wir das Thema auf eine solche Plattform hieven konnten und bundesweit eine Verpflichtung haben, wie Kinder- und Jugendfußball in Zukunft stattfinden soll und die Kinder dabei viel mehr im Fokus sind, als sie das vorher noch waren, darauf blicke ich mit einem gewissen Stolz zurück. Aber auch andere Themen waren wichtig: Wir konnten das Thema Engagementförderung vorantreiben und haben die die Corona-Situation mit Konzepten wie „Zurück auf den Platz“ gemeistert. Persönlich habe ich mich mit Themen beschäftigt, die ich vorher so nicht auf dem Schirm hatte.

Themenvielfalt hast du gerade schon angesprochen und auch Christina hat davon bereits berichtet. Bei der dsj ist die Themenvielfalt riesig. Um ein paar zu nennen: Bewegung, Spiel und Sport, Kinderschutz, Internationale Jugendarbeit, Demokratiestärkung oder Nachhaltigkeit. Was sind die Themen, auf die du dich besonders freust oder die dir wichtig sind?
Das ist bei dem großen Blumenstrauß an Themen in der Tat schwierig zu beantworten. Dennoch haben sich in den letzten Jahren einige Themen herauskristallisiert. Ich denke, das Thema Schutz vor Gewalt ist ein ganz zentrales. Auch einfach ein Thema für das die dsj immer stehen sollte, immer stehen muss! Eines, für das wir weiterhin an vorderster Front arbeiten müssen. Aber eben auch, wie ich schon gesagt habe, das Thema Engagementförderung. Da gibt es noch viel Potenzial und einen großen Bedarf. Hier, glaube ich, kann ich mich mit meiner Erfahrung gut einbringen. Ansonsten gibt es aus meiner Sicht auch immer das Thema Bewegung. Das stellt für uns im Kinder- und Jugendsport seit Corona eine gewisse Chance dar, andere Positionen zu besetzen und ein bisschen lauter zu sein. Ansonsten gibt es aber bestimmt noch viele andere Themen, die mir noch gar nicht bewusst sind. Da bin ich schon sehr gespannt und freue mich auf den Austausch mit den neuen Kolleg*innen.

Christina, welche Themen oder Aufgaben nimmst du in deine neue Position mit und welche wirst du vielleicht auch vermissen?
Was ich konkret mitnehme, da es ja auch ein Schwerpunkt meiner neuen Position ist, ist der gesamte Bereich der politischen Kommunikation. Und ich werde das Thema Strategie mitnehmen, auch das habe ich in der dsj ja sehr stark begleitet, bzw. durfte die Prozesse zusammen mit dem Vorstand selbst aufsetzen. Insgesamt würde ich sagen, nehme ich vor allem viele Erfahrungen mit und zwar was die Schnittstellenaufgaben angeht, die diese Position bei der dsj mit sich bringt und was es aber auch für meine neue Position unbedingt braucht: Gutes Stakeholdermanagement zwischen Haupt- und Ehrenamt, zwischen Mitgliedsverbänden und Unterorganisationen, mit allen Akteur*innen bis hin zur Öffentlichkeit und den politischen Erwartungen zu betreiben.
Vermissen werde ich sicherlich den Bereich Kommunikation. Der wird nicht mehr bei mir liegen. Und ich werde das Thema Safe Sport vermissen, weil ich da in den letzten Jahren ganz viel Herzblut reingesteckt und versucht habe, das Thema kontinuierlich weiterzuentwickeln und eine klare Haltung zu vertreten. 

Leon, du hast gerade schon das Thema Engagement angesprochen und Christina bereits die Schnittstelle zwischen Haupt- und Ehrenamt. Die dsj wird von einem ehrenamtlichen Vorstand geführt. Du selbst engagierst dich neben deinem Hauptamt als Fußballjugendtrainer. Welche Rolle spielt deiner Meinung nach das Ehrenamt für den organisierten Sport, bzw. speziell für die dsj? 
Ohne Ehrenamt funktioniert der organisierte Sport in Deutschland nicht! Das ist unser Kernmerkmal, wenn wir das international vergleichen. Es ist eine Besonderheit im Deutschen Sport und eine Stärke des Deutschen Sports, dass sich so viele Leute einbringen, ohne irgendeine Form von Gegenleistung zu erwarten, weil es ihnen einfach am Herzen liegt. Da gibt es so viele tolle Geschichten, die mich immer berühren und abholen, bei denen ich sehr dankbar bin, dass wir ein solches gesellschaftliches Engagement im Sport haben. Ich erlebe es ja wöchentlich in meinem Verein bei der Arbeit als Jugendtrainer mit ca. 20 Kids.
Insgesamt ist das Ehrenamt ist sehr facettenreich. Es gibt einen ehrenamtlichen Vorstand bei der dsj. Das sind natürlich ganz andere ehrenamtliche Aufgaben mit anderen Herausforderungen. Ohne Ehrenamt geht es nicht und ich habe großen Respekt vor allen Leuten, die sich diese Zeit neben ihrem Beruf nehmen. Wir tun gut daran, das zu unterstützen und insbesondere junge Menschen reinzuholen. Das ist etwas, wo man früh Erfahrungen für sein Leben sammeln kann.

Leon hat gerade von seinen persönlichen Eindrücken im Ehrenamt erzählt. Christina, kannst du nochmal zusammenfassen, was in deiner Zeit als Geschäftsführerin deine persönlichen Meilensteine in der Arbeit der dsj waren und was du Leon vielleicht auch mitgeben möchtest?
Ich versuche es mal: Ein Meilenstein war bestimmt die digitale Vollversammlung 2020. Einfach, weil wir aufgrund der Corona-Regelungen bis zwei Tage vorher noch gar nicht wussten, wie, wo und in welchem Format die Veranstaltung wirklich stattfinden kann. Aber wir hatten den Mut das durchzuziehen und die erste digitale Versammlung der dsj zu meistern. Das war auf jeden Fall prägend und wir waren hier für viele andere Verbände der Vorreiter. Es hat mir nochmal gezeigt, dass es sich auszahlt, wenn man den Mut, aber auch das committment von allen, hat, etwas Neues zu versuchen. Umso schöner, dass es am Ende ein voller Erfolg war!
Für mich prägend war zudem der ganze Strategieprozess der dsj. Das hatte ich vorher noch nie in dieser Tiefe gemacht und so auch nicht erwartet. Das fing ganz klein an und wurde immer größer. Ich habe total viel gelernt und werde das bestimmt jetzt auch nutzen können.
Ein häufiges Krisenmanagement war sicherlich auch nicht geplant, hat mich aber auch sehr geprägt und mich wachsen lassen. Insbesondere der Zusammenhalt mit dem Vorstand, aber auch mit vielen anderen Akteur*innen, war hier von besonderer Bedeutung.
Und besonders ist schließlich auch das Team der dsj. Dass hier wirklich an einem Strang gezogen wird, nicht nur wenn es drauf ankommt – dieses Gefühl macht die dsj sicher aus. Deswegen, Leon, ich bin sehr stolz, dass du in ein wunderbares Team kommst und mit vielen tollen Menschen zusammenarbeiten wirst. Sonst habe ich keine Tipps, weil ich finde, hier muss jeder*r seinen eigenen Weg gehen und ich bin überzeugt, du wirst das großartig machen!

Leon, dein erster Arbeitstag ist der 1. April, daher wollen wir dich vorab noch nicht nach deinen Plänen oder Visionen für die Sportjugend fragen. Erzähl uns aber doch mal, was dir für den Kinder- und Jugendsport in Deutschland wichtig ist und wie du die Rolle der dsj darin verstehst?
Das ist eine große Frage, für die wir uns viel Zeit lassen sollten, aber ich denke, wenn es uns gelingt, dass die dsj immer zentrale Ansprechpartnerin und Sprachrohr für Kinder und Jugendliche im Bereich des Sports ist, dann haben wir viel geschafft. In den letzten Jahren ist wahnsinnig viel passiert. Die Coronakrise ist unglaublich gut von der dsj genutzt worden, um zu sagen „Hey, wir sind hier, wir sind da! Denkt an die Kinder und Jugendlichen!“ Wenn wir darauf ohne Corona und Krisen aufsetzen können, wenn die dsj laut ist, wenn sie stark ist für Kinder und Jugendliche, dann haben wir viel erreicht. Dann geht es den organisierten Sport in Deutschland gut und dann geht es hoffentlich den Kindern und Jugendlich in Deutschland gut!


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